KOMPONIEREN ALS PRODUKTIVES SCHEITERN
Der Tessiner Komponist Nadir Vassena
VON ANTONIO BALDASSARE

Nadir Vassena wurde 1970 in Balerna (Kanton Tessin) geboren und 
studierte Komposition bei Bruno Zanolini und Alessandro Solbiati in 
Mailand und bei Johannes Schöllhorn in Freiburg i. Br. 1993 nahm er 
am Kompositionskurs von Brian Ferneyhough und Joël-François 
Durand in Royaumont teil und besucht seit 1994 die Kurse für 
Elektronische Musik bei Alvise Vidolin und für Informatik (IRCAM 
Software User Group) an der Scuola Civica in Mailand.
Vielleicht ist das Geheimnis von Nadir Vassenas Musik ähnlich dem Licht, das 
einem nach dem Dämmerlicht auf der langen Fahrt südwärts durch den 
Gotthardtunnel glimmend von einem milden Himmel herab entgegenfällt und das 
sich immer unerwartet wie gewisse musikalische Intervalle entfaltet; Rätsel gibt 
seine Musik und die von ihr ausgehende Wirkung allemal auf – Rätsel wie es nur 
gewisse Melodien vermögen, die man immer wieder hundert- oder tausendmal 
hintereinander spielt, ohne in der Entdeckung ihres Geheimnisses einen 
Fortschritt zu machen. Vielleicht besteht das Arkanum seiner Musik aber im 
Versuch, die unerbittliche Kraft der musikalischen Tradition, die im künstlerischen 
Schaffen immer Gegenwart ist, musikalisch auszuloten.
In halber Höhe eines nicht zu ermittelnden Baumes war ein unsichtbarer Vogel 
bemüht, sich den Tag zu verkürzen; mit einem lang angehaltenen Ton versuchte 
er die Einsamkeit auszuloten, aber er erhielt eine so klare Antwort, eine Art 
Resonanz aus nichts als Schweigen und tiefer Ruhe, dass es schien, als hielte er 
nun für immer den Augenblick fest, den er eben noch versucht hatte, schnell zum 
Enteilen zu bringen. (Marcel Proust, In Swanns Welt)
«Vielleicht hat mich meine persönliche Situation als Mitglied einer Minderheit im 
doppelten Sinne, und zwar als Tessiner in der Schweiz und als Schweizer in 
Europa, und mein Werdegang für das Phänomen der Tradition sensibilisiert. Ich 
habe […] als Schweizer in Italien Komposition studiert und in Deutschland und 
Frankreich an zahlreichen Workshops teilgenommen, aber nie wirklich einen 
 herausgebildet. Die stilistische Pluralität im Komponieren des 20. Jahrhunderts, 
die sich vermutlich auch ins 21. Jahrhundert fortsetzen wird, ist nicht einfach ein Zeichen
dafür, dass sich ein herausgebildet hat, den man nennen könnte.» (1)
Die italienischsprachige Schweiz, kulturell an das grosse Mutterland im Süden und 
politisch an den Norden – an die Eidgenossenschaft – gebunden, hatte seit je 
Identitätsprobleme. (Carlo Piccardi, Esperienze)
«Du würdest also meinen, dass die Idee eines internationalen Stils, wie er in 
den Köpfen so mancher Komponistinnen und Komponisten und Vertretern der 
Musikwissenschaft noch immer herumgeistert, ein Konstrukt ist, eine Art 
Verlegenheit? – Ja, denn während meines – salopp gesagt –  
Werdegangs realisierte ich bald, dass unter dem Schein der Pluralität weit mehr 
national- und personalstilistische Momente sich verbergen, als manchen 
Komponistinnen und Komponisten lieb ist. Was mir auf den Festivals, an welchen 
ich regelmässig teilnehme, immer wieder auffällt, ist, dass es zwar einen 
Austausch von kompositorischen Techniken oder Konzepten gibt, aber ein wirklich 
interkultureller Austausch findet kaum statt. Das hat meiner Meinung nach mit dem 
in seinen nationalen Ausprägungen unterschiedlichen kulturellen Gedächtnis zu 
tun, wie es sich im übrigen auch bei der Rechtfertigung des eigenen Tuns äussert. 
Es ist schon auffällig, dass beispielsweise französische Komponistinnen und 
Komponisten ihr Komponieren tendenziell mit Bezug auf technische Momente 
rechtfertigen, während die deutschen Komponistinnen und Komponisten dazu 
tendieren, ihren Kompositionsstil philosophisch bzw. ästhetisch zu legitimieren 
bzw. abzusichern. Aber ich gebe offen zu, dass ich von solchen Rechtfertigungen 
reichlich wenig halte, weil mir die rationale Erklärung des kompositorischen Akts 
letztlich suspekt ist, kann er doch nur ansatzweise mit handwerklichen und 
technischen, ästhetischen und philosophischen Erörterungen gedeutet und erklärt 
werden. Letztlich ist es nur das musikalische Produkt, das musikalische Werk, das 
für mich zählt und von Bedeutung ist.» 
Dies gilt ganz besonders für den Bereich der Musik, einerseits wegen des kleinen 
Territoriums, andererseits aufgrund der geschichtlichen Situation der Abhängigkeit 
von einer äusseren Macht, die das Entstehen eigener Machtzentren […] 
verhinderte: […] Die Verspätung, mit der Produktions- und Unterrichtszentren 
errichtet wurden (das Radio in den 30er Jahren und erst kürzlich das 
Konservatorium) bewirkte, dass sich sowohl bei den Komponisten wie bei den 
Interpreten die Begabungen individuell – praktisch ohne interne 
Querverbindungen – und nach aussen gerichtet entwickelten. (Carlo Piccardi, 
Esperienze) 
Diese erbarmungslose Kraft, welche die Freiheit des eigenen Tuns einschränken 
mag, macht ihn frei zur Gegenwart, zu einer Form von Musik als Steigerung der 
gegenwärtigen Zeit. Und in seiner Musik scheinen Gegenwart und Vergangenheit 
(Vergangenheit als Erinnerung, die weder stofflich noch zeitlich fassbar ist) sich 
verstohlen zu berühren. 
Wenn er diese Erinnerung als sinnige kleine Anekdote erzählen wollte, müsste er 
sie in eine kausale Folge zu anderen Ereignissen bringen, anderen Taten und 
Worten einfügen; und da er sie vergessen hat, bliebe ihm nichts übrig, als sie zu 
erfinden; nicht um zu mogeln, sondern um die Erinnerung verständlich zu machen. 
(Milan Kundera, Die Unwissenheit)
Und in dieser verstohlenen Berührung öffnen sich Fenster (Fenster, ohne die 
seine Musik nicht denkbar ist), die uns die Zukunft anbieten und mit welchen 
Komposition und Ausführung, Werk und Interpretation aufeinander zurücken – ein 
Versuch, den zwischen dem kompositorischen Konzept und seiner Realisierung 
klaffenden Graben zu überwinden, wenigstens im Ansatz, ohne ideologischen 
Zwang. Indes überschätzt Vassena die Zukunft nicht, denn Sendungsbewusstsein 
ist seine Sache nicht, er ist nicht kurzsichtig gegenüber dem, was sich seiner 
Logik entzog – vielleicht deshalb, weil er expliziter als andere Komponisten sein 
eigenes Komponieren als permanentes Scheitern definiert, das ihn dennoch nicht 
davon abhält, die in einer Komposition aufgegebenen Probleme zu lösen, sich 
stets aufs Neue mit ihnen auseinander zu setzen.
Man begreift nur die Realität. (Sándor Márai, Die Glut) 
Er ist Preisträger zahlreicher nationaler und internationaler 
Wettbewerbe, und seine Kompositionen finden an renommierten 
Veranstaltungen für Neue Musik breites Gehör: Auszeichnung am 
Wettbewerb Forum junger Komponisten des Westdeutschen 
Rundfunks Köln (1992), erster Preisträger ex aequo des vom Institut 
für Neue Musik der Hochschule der Künste Berlin organisierten 
Wettbewerbs (1994), Kompositionswettbewerb für Kammermusik 
Winterthur (1996), zweiter Preis im Mozartwettbewerb Salzburg (1997), 
erster Preisträger des Concours International de Composition 
musicale pour orchestre in Besançon (1998). Seine Werke wurden 
mehrmals am Festival Gaudeamus Music Week Amsterdam (1996, 
1997, 1998, 1999, 2000) ausgewählt. 1999 erhielt er den Preis der 
Christoph Delz Stiftung Basel und ein Kompositionsstipendium der 
Stiftung Schloss Solitude Stuttgart.
«Mysterium Lunae» wurde 1995 für den Chor der Radiotelevisione della Svizzera 
Italiana geschrieben und führt die Thematik einer Werkreihe fort, welche die der 
Alchemie eigene «sakrale» Sprache reflektiert: die Beziehung zwischen Mensch 
und Natur, das Schreiben als Moment der Erkenntnis usw. Es kommen gleichzeitig 
zwei Textarten vor. Der erste, lateinische Text besteht aus einer Serie von 
Mondmetaphern aus der alchemistischen Tradition. Diese sind in Gruppen 
unterteilt, welche die einzelnen Abschnitte des Stücks abgrenzen (anima, acqua 
permanens, umbra solis, humidum ignis, etc.). Der zweite, deutsche Text stammt 
von Paracelsus und bringt Fragmente, die vom Einfluss des Himmels und der 
Sterne auf den menschlichen Geist handeln. (Nadir Vassena)
Komponieren als Akt des Scheiterns und als Verpflichtung, dieses Scheitern als 
Teil der Sache, worum es beim Komponieren geht, zu akzeptieren, verleiht der 
Musik von Vassena jene idealistische und humane Dimension, von der eine 
Sogkraft ausgeht, der nichts Suggestives oder gar Manipulatives anhaftet. Die 
Logik des Misslingens schlägt vielmehr in eine dem zirkulären Prinzip verpflichtete 
Schaffensästhetik um: nicht als ciculus vitiosus, davor bewahren ihn die beim 
Komponieren immer anfallenden neuen Aufgaben und ihre Sprengkraft. Die 
enorme Produktivität seit 1991 gibt davon ein beredtes Zeugnis. Dabei bildet die 
Auseinandersetzung mit kompositorischen Ideen und mit Fragen der 
spieltechnischen Realisierung das zentrale Interesse von Vassenas 
kompositorischer Tätigkeit. Von welch enormer Bedeutung gerade die 
Realisierbarkeit in seinem Schaffen ist, bezeugt sich in den vielen Details seiner 
Kompositionen, in denen die Grenzen zwischen Komposition und Realisation 
gleichsam verwischt oder gar untergraben werden. Dass Musikerinnen und 
Musiker vielleicht gerade deshalb seine Musik derart schätzen, braucht einen vor 
diesem Hintergrund kaum zu verwundern. 
Achte schon frühzeitig auf Ton und Charakter der verschiedenen Instrumente; 
suche ihre eigenthümliche Klangfarbe deinem Ohr einzuprägen. (Robert 
Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)
«Da ich Saxophon spiele, beherrsche ich indirekt eigentlich alle Blasinstrumente 
mehr oder weniger. Bei den Streichinstrumenten habe ich mir ein 
spieltechnisches Grundwissen angeeignet, das mir ermöglicht, meine 
Kompositionen auch für diese Instrumentengruppe spieltechnisch ideal 
einzurichten. Bei den anderen Instrumenten, wie etwa der Gitarre, wofür ich ja auch 
schon komponiert habe, eigne ich mir während des Komponierens die 
notwendigen Techniken an. In solchen Fällen schreibe ich meine Musik so, dass 
ich sie immer unmittelbar am Instrument überprüfe. Natürlich spiele ich keines der 
Instrumente perfekt, so dass ich damit öffentlich auftreten könnte; aber das ist ja 
auch nicht das Ziel. Darüber hinaus setze ich mich während des Komponierens 
immer auch mit Schriften zur Organologie sowie der Musikliteratur für bestimmte 
Instrumente auseinander, weil ich keine Komposition in die Welt entlassen will, 
von welcher ich nicht überzeugt bin, dass sie auch tatsächlich spielbar ist. Ich 
schreibe nie gegen die «Natur» und die Möglichkeiten eines Instruments. Dass 
das heute immer wieder vorkommt, hat wohl damit zu tun, dass seit dem 19. 
Jahrhundert vermehrt Musik von Personen geschrieben wird, die sich vorab als 
Komponisten und nicht als Musiker verstehen. Diese Trennung ist nicht per se 
schlecht, weil sie den Komponisten erlaubt, neue spieltechnische und 
kompositorische Möglichkeiten zu erproben, ohne dass sie immer von vornherein 
auf Wünsche und Bedürfnisse der Instrumentalisten achtgeben müssen. 
Andererseits tat sich damit aber auch ein Graben zwischen Komposition und 
Aufführung, Werk und Interpretation auf, der bis heute nicht wirklich überwunden 
ist. […] Neben meinen eigenen praktischen Instrumentalerfahrungen ist es auch 
die Auseinandersetzung mit der Musikliteratur, die mir hilft, meine Stücke so zu 
komponieren, dass sie spielbar sind. Ich denke, dass gerade der durch die 
Musikliteratur bestimmte Einfluss von vielen Komponisten zu gering eingeschätzt 
wird. Ein Musiker spielt nie voraussetzungslos. Mir ist durchaus bewusst, dass, 
wenn ich beispielsweise ein Stück wie Correzione I für Klavier komponierte, nicht 
nur ich in irgendeiner Weise auf die musikalische Tradition referiere (und dabei 
spielt es keine Rolle, ob ich das bewusst oder unbewusst mache), sondern auch 
der Musiker, der dieses Stück aufführt. In der Aufführung selbst ist mehr 
spieltechnische Tradition, als man gemeinhin annimmt. Dieses Moment habe ich 
in Correzione thematisiert, indem ich bewusst Traditionen des Klavierspiels 
einbezog.» Die Realisierung einer Komposition wird zum strukturellen Moment 
des Komponierens selbst, ähnlich wie etwa bei Schumann und Chopin.
Die Romantiker haben das musikalische Empfinden nicht mehr und nicht weniger 
bereichert als andere schöpferische Komponisten vor ihnen. Sie haben jedoch das 
Verhältnis zwischen dem Reiz des Klangs und dem Reiz der Struktur verändert 
und Details des musikalischen Erlebens, die bis dahin nur von geringem Interesse 
waren oder vollkommen dem Ausführenden überlassen blieben, neue Bedeutung 
verliehen. Sie gaben dem Klang eine gewichtigere Rolle innerhalb der 
Komposition. (Charles Rosen, Die Musik der Romantik)
«Sowohl die Improvisation als auch die Aleatorik unterlaufen nach meiner Meinung 
den Charakter und das Wesen des musikalischen Werks. Ich glaube nicht ans 
offene Kunstwerk. Der Grund dafür ist ein einfacher: Das musikalische Werk ist 
Spiegel meiner eigenen Überzeugungen, wofür ich verantwortlich bin. <šffnete><Öffnete>
ich das Kunstwerk bzw. überliesse ich dessen eigentliche Konkretisierung den 
Musikerinnen und Musikern, dann würde ich mich der Verantwortung entziehen, die 
ich für mein kompositorisches Handeln tragen muss. Neben dieser ethischen 
Dimension spielt bei der Improvisation für mich noch eine andere Überlegung eine 
Rolle. Improvisation ist für mich ein durch bestimmte Praktiken limitiertes 
musikalisches Handeln. Heutzutage sind die Referenzpunkte für dieses 
musikalische Handeln derart zahlreich und facettenreich geworden, dass es die 
Aufgabe des Komponisten ist, einen Modus zu bestimmen, nach dem 
musikalische Werke überhaupt einen Sinn bekommen. Die Freiheit des 
Improvisierens ist heute in ihr Gegenteil verwandelt: in einen vorgeformten Käfig 
oder gar ein unbesonnenes Chaos. Gewiss kann die Improvisation auch 
interessante Resultate zeitigen, die aber vom Komponisten ein spezifisches 
Interesse daran verlangen, das ich zur Zeit einfach nicht habe. Vielmehr ist für mich 
als zeitgenössischer Komponist der Versuch von fundamentaler Bedeutung, 
innerhalb einer determinierten  die eigentliche Arbeit stets 
 zu beobachten, und zwar im Bewusstsein, dass Musik machen 
heute vielleicht einen ganz anderen Sinn hat, um den ich aber nicht weiss!»
Kaum erstaunlich vor diesem Hintergrund ist deshalb Vassenas Skepsis 
gegenüber dem offenen Kunstwerk, dessen Konsequenzen nicht nur die 
Vermeidung aleatorischer und improvisatorischer Mittel und offener Formen sind, 
sondern auch die Zurückweisung einer für offene Kunstwerke charakteristischen 
fragilen Brüchigkeit der musikalischen Struktur: Anstatt die Funktion der die 
musikalische Struktur generierenden Mittel zu unterlaufen, bemüht Vassena sich, 
die musikalischen Mittel in ein komplexes musikalisches Beziehungsnetz 
einzubinden – ohne dabei auf narrative oder poetisierende Momente oder 
aussermusikalische Bezüge zu verzichten: «Ich glaube […], dass ein Komponieren 
ohne aussermusikalische Bezüge eine Illusion ist, auch wenn man die Bezüge 
nicht immer offen legt. Indes ist der aussermusikalische Bezug für mich nur in 
Referenz auf eine besondere kompositorische Technik relevant.» Die zentrifugalen 
Kräfte dieses Netzes werden mit einer fein austarierten musikalischen Technik 
gebändigt. Wer hier einen Imperator maximus am Werk vermutet, täuscht sich 
allerdings. Bändigung und Kontrolle sind einem ethischen Prinzip der 
Verantwortung für das eigene Tun verpflichtet, weshalb auch verständlich wird, 
warum Vassena dem Schreibprozess und dem handwerklichen Aspekt des 
Komponierens derart viel Bedeutung beimisst, ja in ersterem gar einen kreativen 
Schöpfungsakt sieht. «Ein Grossteil der musikalischen Ideen entsteht und entfaltet 
sich erst während des Niederschreibens. Ich denke auch, dass dies ein ganz 
wesentlicher Unterschied in der Schaffensästhetik zu früheren Jahrhunderten ist, 
vor allem zur Zeit vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im 19. Jahrhundert 
hat meiner Meinung nach das Auge für das Komponieren zunehmend an 
Bedeutung gewonnen. Es hat das Ohr in seiner Kontrollfunktion gleichsam mehr 
und mehr abgelöst. Heute spielen visuelle Momente, d.h. der Schreibprozess an 
sich, eine enorme Rolle beim Komponieren, wie ich bei mir selbst und in 
Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen immer wieder feststellen kann. Man 
könnte sogar sagen, dass das Auge und nicht mehr das Ohr über die Komposition 
wacht. Der Schreibprozess ist nicht mehr einfach nur eine blosse Umsetzung 
musikalischer Ideen, die man in sich hört, sondern – auch wenn das jetzt ein 
bisschen pointiert klingt – der Ort, wo ein grosser Teil des Komponierens 
stattfindet. Neben dem Schreibprozess spielt für mein Komponieren auch die 
praktische Erfahrung eine ganz grosse Rolle.» Er muss sich dem Komponieren 
gleichsam physisch aussetzen, um produktiv zu sein.
Durch Fleiss und Ausdauer wirst du es immer höher bringen. (Robert Schumann, 
Musikalische Haus- und Lebensregeln)
Dem Musenkuss und der Inspiration misstraut er ohne Bedauern. Inspiration ohne 
harte Arbeit ist ihm gleichsam eine Illusion, eine schöne romantisierende Illusion, 
aber ohne Bezug zur Realität. Vielleicht mag die Faszination, die von seinen 
Werken ausgeht, viel mit diesem hohen Arbeitsethos zu tun haben, dem jeweils 
Werke entspringen, die auf ganz eigentümliche Weise in sich stimmig sind, ohne 
ein Zuviel oder Zuwenig. Und indem seine Musik sich immer aufs Neue entwirft, 
bleibt die Spannung erhalten, die nicht in der Lösung musikalischer 
Fragestellungen, nicht in einem Schöpfungsakt kulminiert, sondern in der Einsicht, 
dass zwar der Schöpfungsakt die Antwort darstellt, aber erst nachdem er den 
Fragen entsprechend gelebt worden ist. Und die daraus resultierenden Rätsel 
bleiben das Geheimnis dieser Musik.
(1) Die in Anführungszeichen gesetzten Textpassagen entstammen einem Interview, das ich mit 
Nadir Vassena im Winter 2000 geführt habe und welches im Rahmen der von der Pro Helvetia 
herausgegebenen Portraits Schweizer Komponistinnen und Komponisten erschienen ist.

Werkverzeichnis Nadir Vassena: http://www.musicedition.ch/composers/106d.htm