Quantität ist Qualität
Patrick Franks Projekt «The Law of Quality»
Kunst ist mehr als Landschaftsmalerei, mehr als abstrakter Expressionismus, mehr als Fotografie und Neue Einfachheit. Kunst in Zeiten radikalisierter Geldströme ist vor allem Geschäft. Aktionskunst wird, so äusserte der Kurator und Kunsttheoretiker Peter Weibel einmal treffend, zur «Auktionskunst»: Ein rasant gespritztes No. 5, 1948 von Jackson Pollock bringt etwa 140 Millionen Euro ein. Damien Hirst, der gewiefte englische Kunstgeschäftsmann, bot 2008 seinen mit 8601 Diamanten bestückten Totenschädel an für 75 Millionen Pfund, somit als das teuerste Kunstwerk eines lebenden Künstlers.
Musik, zumal Neue Musik, ist von solchen ebenso horrenden wie irrationalen Preissteigerungen erfreulicherweise verschont geblieben. Ein Blick aufs Verlags- und Tantiemenwesen verrät aber auch hier mitunter ein lukratives Geschäft. Auf die Bedenken von Kaiser Wilhelm II., dass die Salome ihrem Komponisten schaden könne, soll etwa Richard Strauss geantwortet haben, dass es sich von diesem «Schaden» in seiner Garmischer Villa gut leben liesse. Hans Werner Henze wiederum trieb selbst die Preise für seine Opern in den sechziger und siebziger Jahren so in die Höhe, dass er bald gemütlich privatisieren konnte auf einem Landsitz im italienischen Marino in der Nähe Roms. Ein Marxist auf Abwegen? Nackte Zahlen sind selten. Über Honorare spricht man nicht gerne, denn sie könnten Anlass geben für Neid, Argwohn und Missgunst. Max Nyffeler sind einige Einblicke zu verdanken, nicht in Künstlerkonten, aber zumindest ins Verlagswesen: Einen Gesamtumsatz von etwa 400 Millionen Euro erwirtschaften 336 Musikverlage in Deutschland pro Jahr. Allein Aufführungen des Strauss’schen Rosenkavaliers bei den Salzburger Festspielen erbrachten im Jahr 2004 nicht weniger als 400 000 Euro1 – wenig im Vergleich zu No. 5, 1948, viel aber, wenn man bedenkt, dass der Rosenkavalier schon seit 100 Jahren seine komödiantische Karriere macht.
ODER DER KÄUFER ALS QUALITÄTSSTIFTER
Kunst und Geld ist ein heikles Thema, dem sich Patrick N. Frank kritisch, zugleich transparent nähert. Was nun ist The Law of Quality? Zum einen ist es eine traditionell notierte Partitur für eine Sängerin und eine Pianistin. Der initialen Aufführungsvorschrift «mechanisch, gnadenlos» folgen dissonante Akkordrepetitionen in tiefer Lage.2 Nach 10 Takten wilden Hämmerns ertönt eine Sprechstimme:
«In 30 Sekunden erklangen 901 Töne; pro Sekunde also 30,03 Töne. – Meine Damen und Herren: Quantität ist Qualität! Doch Sie haben Recht, wenn Sie jetzt denken: Nur weil viele öne erklingen, hat das Werk längst keine Qualität! Wir müssen dem Werk eine Wende geben, um seine Quantität und künstlerische Qualität zu steigern. Wolfgang Ullrich, ein ulturwissenschaftler, stellte in seinem Text Marktkunst [...] folgende These auf: Die Erhabenheit, einst in der Unermesslichkeit der Natur empfunden, taucht heute an einem wesentlich profaneren Ort wieder auf: In den unermesslich hohen Preisen, welche Kunstwerke erzielen. [...] Früher kaufte man mit Geld Qualität, heute ist Geld Qualität.»
Schon in seinen Studien zum Jetzt-Möglichen hatte Frank gesprochene kulturphilosophische Texte ins Werk integriert. Sie erfüllen bei ihm Wegweiser-Funktionen, die für ihn immanent musikalische Strukturen offenbar nicht leisten können. The Law of Quality ist – zum anderen – also ein Konzept, eine künstlerische Antwort auf Ullrichs Text, in dem die Irrationalität der Preissteigerungen und vor allem deren Konsequenzen beschrieben sind.3 Weit über die hämmernden Dissonanzen und die kitschigen Dur-Moll-Akkorde des zweiten Teils geht die Bedeutung von The Law of Quality hinaus. Eine eigene Webseite, www.lawofquality.com, hat Frank als Diskurskatalysator eingerichtet, die auch darüber Auskunft gibt, auf welchem Wert das Werk jeweils aktuell steht.
Lesen Sie den vollständigen Artikel in DISSONANCE 116 (Dezember 2011).
Siehe auch das Dossier Patrick Frank mit Texten, Partituren, Videos etc.