Dissonance

Echos in Häuserschluchten

Pyramidale 9. Festival für neue Musik und interdisziplinäre Kunstaktionen (Berlin Hellersdorf. 25. und 27. September 2010)

Stephanie Schwarz

 

Unter dem Motto Double eCHo kam es im Rahmen der 9. Pyramidale in Berlin – erstmals in Kooperation mit musica aperta (Theater am Gleis Winterthur) – zu einer musikalischen Begegnung der Schweiz und Deutschlands. Den Auftakt bildete die Tramophonie, ein Konzert in der Strassenbahn, welche die Fahrgäste bis nach Berlin Hellersdorf zum endgültigen Austragungsort des kleinen Festivals brachte. Auf der akustischen Grundlage der fahrenden Tram trafen musikalische Improvisation und Komposition (Max E. Keller, sax; Dietrich Petzold, viol; Matthias Würsch, perc) und der von der Autorin Barbara Schibli selbst vorgetragene Text Gleissend verflechtet aufeinander und gestalteten ein Multi-Echo-Ereignis: Das quietschende Vibrieren der Bahn resonierte im vom Schlagwerk dominierten musikalischen Part, der gleichsam ein Echo des bildreichen Textes hervorbrachte, welcher wiederum die spezifischen Erfahrungen der Schweizer Autorin mit der Berliner Aussenwelt spiegelte und in seiner Vortrags-Struktur dem musikalischen Rhythmus Rechnung trug. Den Blick aus der fahrenden Bahn werfend fühlte man sich entführt in eine Mondlandschaft aus Beton – breite Strassen, riesige Wohnblocks, menschenleer. So pflügte sich das Shuttle durch den herannahenden Abend und entliess seine Insassen am Ende der Reise in ein Gebäude, das, neben all dem verschlossenen Beton, grösstmögliche Offenheit signalisierte – eine Pyramide aus Glas – die Raumstation der Kultur.

 

Dort ging es mit der Uraufführung des 1. Satzes von Junghae Lees (CH) Streichquartett weiter, dargeboten von den Musikern des Schweizer Streichquartetts quatuor antipodes (Egidius Streiff, Daniel Hauptmann, Mariana Doughty, Christine Hu). Es folgte Thomas Kesslers (CH) Drum Control für Percussion und Computer in der beeindruckenden Performance von Matthias Würsch (CH), dessen Filigranität in der Vermittlung zwischen dem Schlagzeug als traditionellem Klangerzeuger und dem Computer ein quasi stehendes Echo erzeugte, welches den Puls bzw. Klang einfach nicht aufhören liess. Diesem elektronischen Echo wurde in Escapade I für Violine Solo der Schweizer Komponistin Heidi Baader-Nobs ein körperlich-materielles entgegengesetzt: Die akustische Realisation verstand sich hier als körperliches Echo (Egidius Streiff) auf den Notentext. Das Dresdner Ensemble AUDITIVVOKAL liess in seiner szenischen Collage zeitgenössische Vokalwerke auf Orlando di Lasso treffen und fabrizierte eine originelle aber letztlich zu ausführliche Begegnung zwischen Musik, Text und Szene. Es folgten verschmelzende und ebenfalls differierende Streicher- und Schlagzeugklänge in Michael Hirschs (D) Masken, eine theatrale, klanglich reduzierte Performance von Rico Gublers (CH) Bored, danach Arno Lückers (D) Into Outtakes, Helmut Zapfs (D) Lydia – Partita II und Georg Katzers Kette. Ein stimmliches "Zwischenecho" wurde mit Ursula Häses (D) Jodelperformance mit Theremin gesetzt. In den schwebenden Klangflächen der Glasharmonika (gespielt von Matthias Würsch) und des Streichquartetts (quatuor antipodes) konnte dieser musikalisch vollgepackte Abend mit Licht. Brechung von Ralf Hoyer (D) ausklingen.

 

Den zweiten Teil des Festivals prägte das kontrastreiche Aufeinanderprallen von populärer Literatur (der gebürtige Schweizer Dieter Moor liess sein Publikum erzählerisch Anteil haben an seiner Landung im Brandenburgischen Niemandsland) und neuer Musik. Eine schwierige Liaison, fällt der Musik in diesem Fall gegenüber dem amüsanten Text zwangsläufig der unzugänglichere Part zu. So stehen sich Musik und Text jeweils abwechselnd gegenüber, wenngleich sich an diesem Abend kein rechtes Echo einstellen will. Susanne Stelzenbachs (D) BERGE, als Auftragswerk der musica aperta Winterthur für dieses Projekt komponiert, führte via Zuspielung nochmals zurück zum bereits am vergangenen Festivalabend erklungenen Jodelgesang und begegnete ihm mit der leisen Verflechtung eines Streichquartettes von Beethoven. Gefolgt von der extrovertierten Interpretation durch Egidius Streiff von Lothar Voigtländers Struktum II für Violine und den differenzierten Klangflächen von Streichern und Schlagzeug in Max E. Kellers Gravuren.

 

Die Kuratoren und Komponisten Susanne Stelzenbach (D) und Max E. Keller (CH) haben zwei kontrastreiche Abende gestaltet – eine musikalisch und textlich facettenreiche, internationale Begegnung. Es ist dem Festival viel Durchhaltevermögen zu wünschen, dieses vielfältige und aufwändige Programm auch in den kommenden Jahren für ein weitgereistes Publikum attraktiv zu machen.
 


by moxi