Dissonance

Ungewisse Zukunft: Dampfzentrale Bern vor Neuorganisation

Die Geschicke des Zweispartenhauses sollen künftig von einer einköpfigen Gesamtleitung bestimmt werden. Und diese soll aus dem Tanz kommen. Was bedeutet das für die Musik?

Tobias Rothfahl
 
Nachtrag, 14. Juni: Georg Weinand zum neuen Leiter der Dampfzentrale gewählt.    Mehr

Seit April steht die Dampfzentrale Bern führunglos da. Wie bereits berichtet (hier), endete der Versuch, die Nachfolge des bisherigen Tanz-Chefs Roger Merguin zu regeln, im Debakel. Mittlerweile zeichnet sich deutlicher ab, wie es dazu kam: Als Roger Merguin dem Vorstand der Dampfzentrale im Mai 2011 seinen Wechsel ans Zürcher Theaterhaus Gessnerallee per April 2012 ankündete, nahm der Vorstand die Gelegenheit wahr, das bewährte Co-Leitungsmodell des Zweispartenhauses in ein Einpersonenmodell zu reformieren. Musik-Chef Christian Pauli sah sich durch die damit verbundene Rückstufung seiner Kompetenzen und seines Pensums zum Rückzug veranlasst – er ist nun an der Hochschule der Künste Bern als Direktor der Bereiche Kommunikation und Marketing tätig. Unklar ist, ob der Vorstand von Paulis Entscheid überrascht wurde oder diesen antizipiert hat. Sicher hingegen ist, dass am Grundsatzentscheid für das Einpersonenmodell festgehalten wird, wie kurz nach Drucklegung der letzten Ausgabe kommuniziert wurde. Ebenfalls sicher ist, dass die neue Person aus dem Tanz kommen wird, weil dieser «in der Dampfzentrale den grösseren Raum einnimmt und auch das grössere Budget beansprucht». Gesucht ist nun eine Person mit «Erfahrungen im zeitgenössischen Tanz und der Performance-Kunst», im Unterschied zur ersten, gescheiterten Ausschreibung im September 2011 wird zusätzlich ein «Interesse an zeitgenössischer Musik» erwartet. Zudem hat die neue Führungsperson die Bereiche Finanzen, Rechnungswesen, Infrastruktur, Technik und Personalführung zu verantworten – ein Profil, das die Zeitung Der Bund mit der Formel «tanzender CEO mit Musikaffinität» etikettierte, und damit in der Dampfzentrale einiges Befremden auslöste. Die Bewerbungsfrist ist am 5. April abgelaufen, eine Findungskommission sichtet nun die Dossiers, mehr ist zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Ausgabe nicht bekannt.

 

Bis zur Regelung der Nachfolge sind interne Programmgruppen für das Dampfzentralenprogramm zuständig. Der Bereich Musik wird von Roger Ziegler betreut, der bereits unter Christian Pauli das musikalische Geschehen in der Dampfzentrale mitprägte – Kontinuität ist damit gewährleistet, und Zieglers bisherige Arbeit lässt vermuten, dass keinerlei qualitative Einbussen zu erwarten sind. Entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung im Bereich Musik dürfte aber die Zusammenarbeit mit der neuen Führungsperson sein, der Ziegler unterstellt sein wird.

 

Grössere Turbulenzen zeigen sich im Bereich Tanz: Das von Merguin aufgebaute Festival TANZ IN. BERN muss 2012 ausfallen. Das Festival soll nicht in abgespeckter Form – bei vakanter Intendanz – durchgeführt werden, da dies dem bestens eingeführten Namen des Festivals allenfalls schaden könnte. Dieser Entscheid zog prompt politische Forderungen nach einer Teilrückzahlung der Subventionen nach sich. Der durchaus formalistische Hinweis, dass im Subventionsvertrag nicht festgeschrieben ist, das Festival müsse jährlich durchgeführt werden, verhinderte einen solchen Entscheid des Berner Stadtparlamentes vorläufig. Ein weitaus stärkeres Argument liefert die Tatsache, dass anstelle des Festivals (und zur gleichen Zeit) insgesamt fünf Veranstaltungen mit führenden internationalen Vertretern des zeitgenössischen Tanzes programmiert sind. Dennoch: Die Befürchtung, dass die Geschehnisse kulturfeindlichen Kreisen Auftrieb verleihen, konkretisiert sich in Voten etwa des SVP-Parlamentariers Ueli Jaisli («Wir müssen die Dampfzentrale retten [...] Der Schwerpunkt Neue Musik findet keine Akzeptanz beim Publikum») – nach der mit 73% Ja-Stimmen an der Urne überdeutlich geäusserten Zustimmung der Stimmbürger zur Ausrichtung der Dampfzentrale eine hanebüchene Feststellung.

 

Verständlich ist, dass Pauli und Merguin nun sowohl mit Stolz auf ihre Aufbauarbeit mit Pionierqualitäten wie mit Frust über das aktuelle Debakel das Haus verlassen. Eine Portion Sorge wird mit dabei sein.
 

 

Dieser Artikel erschien in dissonance 118, Juni 2012, S. 79–80. Die Ausgabe ist noch erhältlich und kann hier bestellt werden.

by moxi