Dissonance

Dampfzentrale Bern im Scherbenhaufen

Aus dem Aufwind geriet die Dampfzentrale Bern unvermittelt in den freien Fall, Landeplatz zurzeit ungewiss. Die Zeichen standen gut: Im Mai 2011 wurde der Dampfzentrale-Kulturvertrag von den Berner Wählern mit 73 Prozent Ja-Stimmen angenommen – eine ausserordentlich hohe Zustimmung für ein Haus, das sich gemäss Leitbild als «zeitgenössisches Kulturzentrum für Tanz und Musik» versteht und das im Auftrag von Stadt und Kanton Bern «aktuelle Formen von Musik und Tanz und das vage Terrain dazwischen» erkundet und nach «Grenzüberschreitungen zu Performance und Clubkultur» forscht.

Dem öffentlichen und zudem direktdemokratisch legitimierten Auftrag zum Trotz scheint gerade diese Ausrichtung im Vorstand der Dampfzentrale umstritten zu sein. Zwar äussert es niemand explizit, doch zwischen den Zeilen ist unschwer zu lesen, dass ein Teil des Vorstands eine stärkere Öffnung zur Popkultur wünscht. Dass diese Haltung Personalentscheide beeinflusst, ist selbstverständlich, und ein solcher hat dem Haus nun einen Scherbenhaufen beschert:

Roger Merguin, seit 2005 gemeinsam mit Christian Pauli Co-Leiter des Zweispartenhauses, wechselt Ende März 2012 ans Zürcher Theaterhaus Gessnerallee. Dies ist seit Mai 2011 bekannt. Der Vorstand der Dampfzentrale liess sich zunächst vier Monate Zeit, bis er die Stelle am 21. September 2011 ausschrieb. Von allfälligen Bewerbern erwartete man rascheres Handeln und gewährte drei Wochen Bewerbungsfrist. Unter den (nur!) 16 eingegangenen Bewerbungen entschied sich der Vorstand – wie es scheint ohne Einbezug des Dampfzentralen-Teams – für die Ballettdramaturgin Bettina Fischer, die heute am Theater Basel tätig ist. Zudem wurde das Co-Leitungs-Modell über Bord geworfen: Die designierte Tanzchefin sollte als Gesamtleiterin der Dampfzentrale mit 100%-Pensum eingesetzt werden, umgekehrt wurde das Pensum von Christian Pauli von 70% auf 50% reduziert.

Kurz vor Weihnachten wurde Bettina Fischer dem Dampfzentralen-Team vorgestellt – reichlich spät im Licht des geplanten Stellenantritts per 1.1.2012 (zunächst in Teilzeit, gemeinsam mit Roger Merguin). Dann ging es Schlag auf Schlag:

  • Am Tag danach zog sich Bettina Fischer zurück, als offizielle Begründung wurde ein tragischer Unfall im Familienkreis genannt.
  • Konfrontiert mit der Reduktion von Pensum und Zuständigkeitsbereich entschloss sich auch Christian Pauli, seinen Vertrag nicht zu verlängern und Mitte 2012 die Dampfzentrale zu verlassen. Die 50%-Stelle sei für ihn als Familienvater keine valable Zukunftsperspektive.
Die Neubesetzung der Dampfzentralenleitung ist damit gründlich misslungen, die Arbeit des Vorstands, der Mängel im Bewerbungsverfahren auf die Leitungsnachfolge eingestanden hat, steht massiv in der Kritik, die Berner Politik konstatiert einen «enormen Imageschaden». De facto steht die Institution ohne Leitung da.

Siehe auch die Berichte im Bund vom 28.12.2012 und in der Berner Zeitung vom 29.12.2012.

www.dampfzentrale.ch

(Tobias Rothfahl, 9. Januar 2012)
 
Overview


by moxi