Unterricht als Forschungslabor?
Freie Improvisation: Möglichkeiten und Grenzen der Vermittlung
Wie vermittelt und unterrichtet man frei improvisierte Musik? Als Urban Mäder und Christoph Baumann, beides Dozenten an der Musikochschule Luzern, im Oktober 2010 die «2nd IASJ Jazz Education Conference. Teaching Improvisation – A Bridge Over Classical and Jazz Studies» auf Korfu besuchten, zeigte ihnen der Verlauf der Konferenz deutlich, dass diese Frage keineswegs aufgearbeitet ist. Die meisten Referentinnen und Referenten orientierten sich entweder an Modellen des Jazz oder an Konzepten, die von der klassischen Avantgarde in den 1960er und 1970er Jahren entwickelt wurden. Reflexionen über Methoden der Vermittlung fehlten. Abgesehen von wenigen Aufsätzen ist dieser Bereich immer noch kaum erschlossen – aus verständlichen Gründen, denn diese Arbeit ist nicht nur methodisch anspruchsvoll, eigentlich widerspricht sie auch geradezu den Grundvoraussetzungen dieser Musik. Die Vermittlung frei improvisierter Musik ist demnach immer noch die Ausnahme. Das Luzerner Forschungsprojekt zu Möglichkeiten und Grenzen ihrer Vermittlung, das Mäder und Baumann auf Korfu vorstellten, stiess deshalb auf grosses Interesse. Vermittlungsansätze können sehr unterschiedlich sein, ja man könnte fast meinen, es sei dieser stark individualisierten Musizierweise wesenhaft, dass es ebenso viele Wege wie Lehrpersonen gibt. Gerade deshalb ist nach den Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschieden zu fragen.
Aus dieser Grunderfahrung heraus entstand im Forschungsschwerpunkt Musikpädagogik der Musikhochschule Luzern das Projekt «Freie Improvisation: Möglichkeiten und Grenzen der Vermittlung».1 Den Dozierenden im Fach Improvisation war schon seit längerem aufgefallen, wie sehr die einzelnen Unterrichtsgruppen von ihrer jeweiligen Lehrperson geprägt werden, ja sogar: dass es möglich ist, allein aufgrund der Spielweise der Studierenden zu sagen, von wem sie unterrichtet werden. Das ist zwar eine in jeglichem Unterrichtsfach häufig zu machende Erfahrung, es mag aber dennoch überraschen, wie sehr dies auch in einem musikalischen Bereich ins Gewicht fällt, der doch eigentlich «frei» von idiomatischen Vorgaben funktionieren sollte.
An den meisten Musikhochschulen der Schweiz ist freie Improvisation seit mehreren Jahren Teil des Curriculums. Am Departement Musik der Hochschule Luzern gehört die freie Improvisation seit 1989 zum Lehrangebot und nimmt darin eine besondere Stellung ein. Vier bis fünf Kurse werden pro Semester durchgeführt – die Ausschreibung lautet: «Den Schwerpunkt bildet in diesem Kurs das Spiel auf dem Hauptinstrument in kleinen Gruppen. Improvisierend und analysierend wird Fragestellungen nachgegangen: Wie entsteht Energie? Wie entsteht Form? Wie entsteht Qualität? Wie kann ich musikalisches Material entwickeln? Was kann Improvisation leisten, was nicht? Wichtiger Teil der Arbeit ist das Entwickeln und Erarbeiten eines individuellen Repertoires von Materialien und Spielmöglichkeiten in der Gruppe.» Alle Bachelor-Studierenden – egal, ob im Klassikbereich oder im Jazz – haben diesen Kurs zu absolvieren, der bewusst in gemischten Gruppen durchgeführt wird. Dabei entstehen relativ grosse Gruppen mit bis zu acht Personen, was für die Arbeit nicht immer optimal ist, und es kommen oft die unterschiedlichsten Instrumente zusammen, was wiederum auf durchaus positive Weise dazu beitragen kann, stilistische Klischees bzw. klischierte Idiome zu vermeiden. Im Anschluss können während des Bacheloroder Masterstudiums weiterführende Workshops besucht werden. Ein allein auf freie Improvisation ausgerichteter Masterstudiengang, wie er beispielsweise in Basel – früher unter der Leitung von Walter Fähndrich, heute von Fred Frith und Alfred Zimmerlin – existiert, wird in Luzern nicht angeboten.
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Lesen Sie den vollständigen Artikel in DISSONANCE 115 (September 2011).