Dissonance

Frictions

Ein Théâtre Musical von Jonas Kocher in Zürich
(28. November – 1. Dezember 2010)

Torsten Möller

 

Trailer FRICTIONS - théâtre musical

 

 

Frictions

 

Man betritt einen Raum. Das ist zunächst nichts Ungewöhnliches. Spannender wird es, wenn der Raum mit feinen Antennen atmosphärisch erfahren wird: Wie steht es um die Akustik, wie um den Geruch, wie um die Einrichtung? Eine Art grosses Hinterzimmer ist der Theaterraum des Zürcher Cabaret Voltaire, voller Fotos, voll skurriler Wandmalereien. Unter der Decke hängt ein Metallgestell, an diesem wiederum einige Halogenstrahler. Etwa eine Hälfte des Raumes ist bestuhlt, in der anderen liegen ein paar CD-Spieler inklusive Lautsprecher und Kabel auf dem Boden.

 

Solches Ambiente bietet Jonas Kochers etwa 45-minütigem Théâtre Musical namens Frictions die perfekte Plattform. Erfrischend unprätentiös und zugleich äusserst detailverliebt beherrscht der 1977 Geborene sein Handwerk. Nur zwei Personen agieren in diesem Théâtre Musical, der ersten Produktion des 2010 gegründeten Vereins Association Suisse Théâtre Musical: An der Bratsche Barblina Meierhans, am Cello Aurélien Ferrette. Lässigen Schritts bewegen beide sich ins Blickfeld des Publikums, traktieren ihre Instrumente mal mit harsch-geräuschhaftem Bogenstrich, mal regulär, mal mit Holzstäbchen zwischen den Saiten. Das klingt nicht sonderlich aufregend, ist es auch nicht, zumindest nicht für sich allein. Entscheidend für die hohe Kunst Jonas Kochers – Komponist und Regisseur in Personalunion – ist sein unglaubliches Gespür für eine Durchdringung theatraler und musikalischer Elemente, die er bei seinem einstigen Lehrer Georges Aperghis erlernt haben mag.

 

 

Hinzu kommt eine kluge Ökonomie der Mittel. Wie in einem Kettenrondo reiht Kocher verschiedene Formteile – manchmal in Varianten – aneinander. Frictions beginnt ausgedünnt, droht zu versanden, urplötzlich ein lauter Pistolenknall, dann marschieren die Protagonisten stampfend im Raum herum und deklamieren Passagen aus Aperghis’ in einer Art frankophiler Phantasiesprache gehaltenem Textzyklus Zig Bang. Am Ende steht der Zirkelschluss, aber eben variiert: Nicht von den Instrumenten kommen die Anfangsgeräusche, sondern aus den CD-Spielern.

 

Man darf fragen, was uns Frictions sagen will. Geht es da um die Beziehung zweier Menschen, um Reibungen, um Erotik zwischen ihnen, oder doch um den Verlust ihrer Beziehungsfähigkeit in Zeiten des Materialismus? Nichts von alledem. Frictions ist, was es ist: Ein abstraktes Stück mit Langzeitwirkung, das sich nicht nur Kocher verdankt, sondern auch den herausragenden Darstellern, dem Dramaturgen Benno Muheim und dem Beleuchter Markus Brunn. Auf die Opernbühne gehört Frictions sicher nicht, aber auf (fast) jedem anderen Terrain könnte (und sollte) dieses wundervolle Musiktheater Karriere machen.

 

www.frictions.ch

 

Dieser Artikel erschien in DISSONANCE 113, März 2011, S. 77.

frictions


by moxi