Dissonance

Einsamkeit und Tod

«Wüstenbuch» - ein Musiktheater von Beat Furrer in Basel und Berlin

Andreas Fatton

 

Furrer: Wuestenbuch

«Horch mit, was mir möglich ist.» Foto: Judith Schlosser

Von der «besten Musiktheater-Produktion der letzten Jahre» war die Rede, und an enthusiastischen Gesichtern und Meinungen hat es nach der Wüstenbuch-Aufführung nicht gefehlt. Der jüngsten Zusammenarbeit von Beat Furrer und Christoph Marthaler hat sich auch Feuilleton und Radio mit vorbildlichem Eifer angenommen und sie grösstenteils mit ähnlichem Wohlwollen bedacht. Was nach der Basler Uraufführung nicht alles an klugen Worten in den Äther gefunkt und auf Papier vergossen wurde – ich kann dem nichts anderes als eine weitere Meinung anfügen, eine eher enttäuschte  allerdings. Dass Musik, Text und Bühnengeschehen sich im Zusammenspiel derart unerbittlich entziehen, halte ich offengestanden kaum aus.

 

Da ist zunächst eine Textvorlage, ein  Arbeitsbuch, das kein fertiges Libretto darstellt, sondern vom Komponisten als Materialsammlung zusammengestellt worden ist. Den Kern dieser Vorlage bildet Ingeborg Bachmanns Wüstenbuch, das Ägypten-Tagebuch von 1964, das die Autorin später als Teil ihres Todesarten-Projektes betrachtet hat. Diesen Texten dürfte die Hauptrolle in der Bestimmung dessen zukommen, worum es im Stück geht; sie sind auch als einzige Zitate durchwegs akustisch zu verstehen. Die darin versammelten Wüstenkörner verschmelzen dabei weiter zu einem psychischen Innenspiegel; es geht um Einsamkeit und Tod. Es kommen Zitate aus dem altägyptischen Papyrus Berlin 3024 hinzu, aber auch lateinische Stellen, aus Lukrez’ De rerum natura etwa. Dieses Textlayout machen erst die Fugentexte des österreichischen Autors Händl Klaus zu einer Ordnung oder Interpretation. Aus der Einsamkeit der Bachmannschen Texte wird dadurch keine Erzählung, vielmehr zeigt sich jene atmosphärisch  entfaltet und einem Bühnenbild eingeschrieben, dessen drei zentrale Hotelzimmer sich in absurder Stimmigkeit als Transit- und Endstation gleichzeitig  vermieten.

 

Für den involvierten Zuschauer kommen die Textaggregate Furrers einer ersten Ausschlussbewegung gleich: Er kann zunächst einmal nichts daran weiterführen oder -erzählen, da jede Szene, wie Furrer sagt, «ihre eigene Sprachlichkeit hat». Wer das nicht vorgängig erfasst hat, sieht sich bereits entscheidend in Nachteil gesetzt. Sprachklang und Stimme sind in ständiger Transformation begriffen, gegeneinander gestellt, chorisch, als abwesende Stimmen anwesend, als Sprachmelodie auf die Instrumente übertragen. Das macht eine sehr komplexe und ebenso reduzierte Musik trotz ihres übers Ganze gesehen statischen  Charakters nicht einfacher. Es scheint, als reduziere Beat Furrer einen in den  Ensemblestücken erprobten – und sehr gut «funktionierenden» – Stil noch einmal, ohne dass dadurch genug Raum für ein ganzes Musiktheater freigelegt würde. Furrers Musik spricht mit kleinsten Gesten, und das heisst: Sie hebt beständig neu an. «Horch mit, was mir möglich ist», flüstert sie einem ins Ohr. Nur setzt sich dieses auch bereits mit der gleichzeitig servierten Interpretation, nämlich Christoph Marthalers Inszenierung auseinander, die ja stets auch auf visuelle Verstärkung und Vergrösserung des  Gehörten abzielt, in den Gruppierungen und Bewegungen des Ensembles wie in den «Ticks» einzelner Figuren. Mir scheint ziemlich eindeutig, dass man Furrers Musik einige Male ohne die szenische  Installation hören müsste, um zu begreifen, welche Wirkung jenseits unablässiger Geste in ihr eigentlich steckt – am besten als raumerhaltenden «Konzertmitschnitt». Dann erst öffnet sich Marthalers Spiel und Duri Bischoffs dazu passendes Bühnenbild mit den drei Hotelzimmern und dem darunterliegenden Begegnungskeller.

 

«Ich glaube an Erzählmöglichkeiten jenseits der von A nach B», hat Beat Furrer in einem Interview zum Wüstenbuch geäussert. Sein Musiktheaterschaffen zeigt äusserst konsequente Umsetzungen dieser nicht-linearen Erzählmöglichkeiten, und gerade in Wüstenorten (oder Un-Orten), ob nun altägyptischen, zeitgenössisch urbanen oder gänzlich inneren, müssen diese aufblühen. Es gibt dort weder ein A noch ein B, und vor allen Dingen nicht mehr die Wahl eines «passenden», das heisst lebensrettenden Weges zwischen ihnen. Die Orte, die Worte, ja die Figuren des Theaterabends (die Solistes XXI und das Klangforum Wien) stehen zueinander vielmehr in immergleicher Distanz. Man kann das, wenn man will, als Definition von Demokratie sehen, aber, wenn man anders will, auch als solche der Einsamkeit. Worum es geht, darf sich der involvierte Zuschauer also gar nicht fragen. Er muss dann aber – als das (nicht) Auszuhaltende – hinnehmen, dass es keine Rettung gibt, denn sie wäre wiederum nur als Erzählung denkbar. Selbst   Bachmann ist nur in Schraffuren und Spuren anwesend, in den Brandgeräten und Feuersymbolen der Inszenierung. Auch um sie «geht es» nicht, auch sie erwartet keine Erlösung. Sondern höchstens einer, der sich mit der Bemerkung: «Morgen kommt Ingeborg, hoffentlich kann ich trotzdem arbeiten» wie alle andern nur ums eigene Seelenheil sorgt. Der Satz sorgt für Auflacher im Publikum und wird nach der Aufführung mit dem – beeindruckenden, aber musikalisch eher klebrigen – Kontrabass/Sopran-Duett am häufigsten angesprochen.

 

Man könnte sich dem Dilemma einer Bewertung rein technisch entwinden: In den Bühnenabläufen, im musikalischen Spiel wirkt unter der Leitung des Komponisten ein selten anzutreffender Perfektionismus. Es bleibt nur unklar, was sich in dieser Geschliffenheit verständlich macht. Eine Stimme, die den Zuschauer als Angesprochenen entwirft, macht sich dadurch nicht vernehmlicher. Es hat zum Konzept der Moderne gehört, diese Fragen nach einer Stimme, nach einem Zuschauer aufzuheben. Gelegentlich dürfte man sie sich trotzdem wieder stellen.

 

Dieser Artikel wurde publiziert in DISSONANCE 110, Juni 2010, S. 69-70.
 

by moxi